Alltag mit MG

Sport und Ernährung bei Myasthenia gravis

Prof. Dr. Franz Blaes
Prof. Dr. Franz Blaes

„Sport ist eine wichtige Säule der Myasthenie-Therapie.”

Prof. Dr. Franz Blaes 
Chefarzt der Klinik für Neurologie am Kreiskrankenhaus Gummersbach

Ist Sport bei Myasthenie sinnvoll? Und: Kann die richtige Ernährung dabei helfen, Beschwerden zu lindern? Wenn du selbst oder jemand in deiner persönlichen Umgebung von Myasthenia gravis betroffen ist, hast du zu diesen und ähnlichen Themen vielleicht bereits Gedanken gemacht. Wir haben Prof. Dr. Franz Blaes, Chefarzt an der Klinik für Neurologie am Kreiskrankenhaus Gummersbach, wichtige Fragen zu Sport und Ernährung bei Myasthenia gravis gestellt.

Dürfen Patienten mit Myasthenia gravis Sport machen?

Wenn Sie mich das vor 25 Jahren gefragt hätten, hätte ich klar gesagt: nein. In der Zwischenzeit muss man diese Frage allerdings mit einem klaren „ja“ beantworten. Denn mit der medikamentösen Therapie können wir zwar den Entzündungsprozess am Muskel bekämpfen, viele Betroffene haben sich davor aber bereits über einen längeren Zeitraum weniger bewegt und so Muskelkraft verloren. Diese Muskeln muss der Patient selbst wieder auftrainieren. Deswegen ist die sportliche Betätigung fast sogar ein Muss.

Gibt es Sportarten, die Sie besonders empfehlen?

Ja, das ist vor allem genau die Sportart, die dem Betroffenen Spaß macht. Wer sich nur widerwillig bewegt, bleibt zumeist nicht dabei – und dann lässt sich kein dauerhafter Effekt erreichen. Es ist allerdings wichtig, dass sich Menschen mit Myasthenia gravis unabhängig von der Sportart an bestimmte Prinzipien halten. Wenn gesunde Menschen Sport betreiben, trainieren sie häufig in die Ermüdung hinein. Daran schließen sich eine Erholungsphase und eine Phase der Superkompensation an. Damit gehen Gesunde dann auf einem höheren Niveau in die nächste Trainingseinheit. Das klappt bei Menschen mit Myasthenia gravis nicht. Wenn Myasthenie-Patienten in die Erschöpfung trainieren, sind sie auch am Tag danach noch erschöpft – ohne dabei einen Trainingseffekt zu erzielt zu haben. Bei diesen Betroffenen geht es daher erstmal darum, die Grenze der eigenen Belastbarkeit zu finden und das Training danach anzupassen. In der Praxis bedeutet das beispielsweise: Wenn ein Patient merkt, er kann auf dem Fahrradtrainer zwölf Minuten fahren, bis er erschöpft ist, sollte er nicht dauerhaft zwölf Minuten oder länger trainieren. In diesem Fall ist es sinnvoll, mit dreimal vier Minuten zu beginnen und dazwischen immer wieder kurze Pausen einzulegen. Wenn sich nach zwei oder drei Wochen eine Stabilisierung einstellt, kann beispielsweise auf dreimal fünf Minuten gesteigert werden – wieder mit Pausen dazwischen. So können auch Myasthenie-Patienten einen Trainingseffekt erzielen, ohne danach erschöpft zu sein. Ideal wäre ein regelmäßiges Training etwa drei bis vier Mal pro Woche.

Ist Krafttraining bei Myasthenia gravis sinnvoll? 

Was diese Patienten brauchen, fällt unter den Begriff Kraft-Ausdauer-Training. Und dazu gehören natürlich auch Übungen, die darauf abzielen, die Muskelkraft zu erhöhen. Auch das geht bei Myasthenia gravis, wenn dazwischen Pausen eingelegt werden. Sinnvoll sind z. B. vier Serien mit jeweils drei Belastungen und dazwischen eine ganz kurze Pause – und vor der nächsten Übung eine längere Pause. So kann ein guter Trainingseffekt erreicht werden, ohne dass Erschöpfung entstehtzu.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für Sport? 

Menschen mit Myasthenia gravis sollten sowohl beim Kraft- als auch beim Ausdauertraining beachten, dass die Beschwerden bei Myasthenie nicht jeden Tag gleich sind. An einem schlechten Tag sollte das Training auch mal ausfallen dürfen, sonst ist Frust vorprogrammiert. Darüber hinaus rate ich meinen Patienten, ihre Trainingsphasen auf die Pyridostigmin-Einnahme abzustimmen. Das Arzneimittel verbessert die Muskelkraft für einige Stunden, bevor die Wirkung wieder nachlässt. Natürlich ist es sinnvoll, das Training in die Phase mit guter Wirkung zu legen.

Welche Sportarten sollten Betroffene vermeiden?

Wenn beispielsweise die Atemmuskulatur betroffen ist, sollte man nicht tauchen. Auch Bergklettern ist ab einer bestimmten Höhe nicht zu empfehlen, weil es zu einer Erschöpfung der Atemmuskulatur führen kann. Aber bei den meisten Standardsportarten spricht nichts dagegen, sie auszuprobieren. Immer unter der Voraussetzung, dass dazwischen die Möglichkeit für ausreichend Pausen besteht. Wichtig ist dabei auch, zu erwähnen: Myasthenie-Patienten sind sehr unterschiedlich belastbar. Manche können auch kraftintensive Sportarten wie Skifahren ohne Probleme betreiben. Ein gutes Maß sind hier beispielsweise die Kraftübungen der Skigymnastik: Wer die durchhält, kann Skifahren gehen.

Würden Sie Patienten zu einer Physiotherapie raten?

Das hängt davon ab, wie es dem jeweiligen Betroffenen geht. Wenn jemand unter einem schweren Erkrankungsverlauf leidet und medikamentös noch nicht gut eingestellt ist, würde ich auf jeden Fall zu einer Physiotherapie raten. Gemeinsam mit einem Physiotherapeuten kann sehr dosiert und kontrolliert an Kraft und Kraft-Ausdauer gearbeitet werden. Er kann zudem beispielsweise eine Gangschulung durchführen und dem Patienten zeigen, worauf er beim Gehen achten muss. Bei einer leichten Muskelschwäche ist eine Physiotherapie hingegen zumeist nicht angezeigt.

Worauf sollten Betroffene in Bezug auf ihre Ernährung achten?

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich so zu ernähren, dass kein massives Übergewicht entsteht. Wenn Übergewicht und wenig Muskelkraft zusammenkommen, müssen Gelenke und Bänder z. B. an der Wirbelsäule noch mehr abfangen. Bei bereits bestehendem Übergewicht kann eine Gewichtsabnahme daher hilfreich sein.

Bei manchen Betroffenen, die beispielsweise Pyridostigmin im Magen-Darm-Trakt schlecht vertragen, kann es ebenfalls hilfreich sein, die Ernährung unter die Lupe zu nehmen. Eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten oder der Essenszeiten kann zu einer Verringerung der Nebenwirkungen führen.

Auch bei einer Kortison-Therapie sollte auf die Ernährung geachtet werden: Unter Kortison kann es zu erhöhtem Blutzucker kommen. In manchen Fällen vermuten wir, dass dadurch die Wirksamkeit bestimmter Immuntherapien beeinträchtigt sein kann. Betroffene sollten daher verhindern, dass der Blutzuckerspiegel im Blut stark ansteigt.

Abgesehen davon muss man allerdings sagen: Es gibt keine besonderen Ernährungsempfehlungen bei Myasthenia gravis. Wenn kein Mangel nachgewiesen ist, existieren zudem keinerlei wissenschaftliche Daten, die belegen, dass die Einnahme irgendwelcher Vitamine oder Spurenelemente sinnvoll ist. Die einzige Ausnahme gilt für Patienten, die längerfristig Kortison einnehmen: In diesen Fällen wird die Gabe von Vitamin D als Prophylaxe gegen Muskelschwund empfohlen.

Dürfen Patienten mit Myasthenia gravis Alkohol trinken?

Prinzipiell spricht nichts dagegen. Allerdings bemerken manche Patienten nach einem Glas Rotwein, dass die Atmung etwas schlechter oder die Beine schwerer werden. Andere Patienten können ganz problemlos ein oder zwei Gläser Wein trinken. Auch hier gilt also: Probieren geht über Studieren.

Ist es sinnvoll, das Mikrobiom des Darms zu behandeln?

Dazu liegen uns derzeit nur sehr wenige wissenschaftliche Ergebnisse vor. Wir wissen, dass das Darm-Mikrobiom mit dem Immunsystem interagiert und wir wissen, dass das auf immunbedingte Erkrankungen Auswirkungen haben kann. Daraus lässt sich aber derzeit keine Therapie ableiten. Auch Veränderungen der Ernährung oder etwa eine Darmsanierung haben keine nachgewiesenen Auswirkungen auf das Mikrobiom im Darm.

Kann ein gesunder Lebensstil eine Alternative zur medikamentösen Therapie sein?

Nein, ein gesunder Lebensstil kann keine Alternative zur medikamentösen Therapie sein, sondern immer nur eine sinnvolle Ergänzung. Auf eine konsequente Durchführung der Therapie sollte keinesfalls verzichtet werden.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.