Wenn Lea über ihren Weg bis zur Diagnose Myasthenia gravis spricht, zeigt sich, wie schwierig es sein kann, der Erkrankung auf die Spur zu kommen. Vor allem, wenn sich die Symptome hinter anderen Krankheitsbildern verstecken, braucht es von Seiten der involvierten Ärzte eine Menge detektivischen Spürsinn – für den in der Praxis oft Zeit und Geduld fehlen.
Leas Krankengeschichte begann im Jahr 2016, als sie am Ende der 6. Klasse von einem Auto angefahren wurde. Im Vordergrund standen damals Bein- und Kopfverletzungen, doch sie stellte fest, dass auch darüber hinaus mit ihrem Körper so einiges nicht mehr stimmte: Sie bemerkte eine Schwäche, die sie davor nicht kannte. So hatte sie Probleme, mit Krücken zu laufen und auch das Schlucken bereitete ihr erstmals Probleme. Lea suchte immer wieder Rat bei ihrem Chirurgen, der sich die Beschwerden jedoch auch nicht erklären konnte. Denn, soviel war klar: Sie standen nicht im Zusammenhang mit dem Unfall. Die erste Diagnose lautete Schmerzsyndrom, eine Physiotherapie sollte helfen, die verloren gegangene Muskulatur wieder aufzubauen. Als diese nicht den gewünschten Erfolg brachte, sollte sie die Physiotherapie wechseln – so lange, bis sie wieder Muskeln aufbaut. Niemand verstand, warum Lea dennoch weiter Muskulatur abbaute, obwohl sie doch alles dafür tat, wieder fitter zu werden. Ab dem Zeitpunkt begann das, was Lea im Nachhinein als „Ärztemarathon“ beschreibt: Sie wurde von einem Arzt zum nächsten geschickt und landete zwischendurch bei einem Lungenfacharzt, der ihr vorwarf: „Du simulierst doch nur“.
Am Anfang der 9. Klasse erlebte Lea einen weiteren Unfall. Sie war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Schule, als sie von einem Auto angefahren wurde. Lea erlitt hauptsächlich Kopfverletzungen, eine Innenohrschädigung, Beinverletzungen und einen Kapselbandriss im Daumen. Der Heilungsprozess verlief diesmal nicht nur äußerst schleppend, tatsächlich verschlechterte sich ihr Zustand von Woche zu Woche. Sie musste nach und nach Aktivitäten aufgeben und hatte am Ende nichts mehr – außer Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte. Erst kurz vor Ende der 11. Klasse äußerte endlich eine Neurologin den Verdacht „Myasthenia gravis“.
Drei Wochen später bestätigte sich die Vermutung und Lea erhielt die Diagnose Myasthenia gravis. Sie war zunächst erstmal überfordert: Einerseits war Lea erleichtert zu wissen, dass sie sich ihre Beschwerden nicht einbildet, aber andererseits war nun auch klar: Sie muss mit der Erkrankung leben lernen. Und das galt nicht nur für Lea selbst, sondern auch für ihre Familie. Vor allem ihre Mutter stand und steht ihr im Alltag immer zur Seite. In der Schule spitzte sich die Situation jedoch immer stärker zu, doch Lea gab nicht auf: Bereits nach ihrem ersten Unfall in der 6. Klasse wurde sie gemobbt, daraufhin wechselte sie die Schule. Den Realschulabschluss konnte sie während der Pandemie von zuhause aus machen und sich dabei ihre Kraft gut einteilen. Doch das geplante anschließende freiwillige soziale Jahr in einem Kindergarten war für sie ein Kraftakt, den sie nicht mehr bewältigen konnte: Lea war körperlich zu schwach und häufig krankgeschrieben. Schließlich musste sie die Arbeit abbrechen. Doch Lea kämpfte weiter: Nun wollte das Mädchen das Abitur nachholen. Ihre abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit durchkreuzte jedoch auch diesen Plan: Lea konnte nun nicht mehr ohne Hilfe laufen, kippte ständig um und musste schließlich aufgrund einer Corona-Erkrankung, die ihre Schwäche zusätzlich verstärkte, zwei Monate lang der Schule fernbleiben. Danach kamen auch in der neuen Schule Probleme mit ihren Mitschülern. Erneut wurde sie mit dem Vorwurf, sie simuliere ihre körperlichen Beschwerden nur, um Aufmerksamkeit zu erhalten, konfrontiert. Die Diagnose Myasthenia gravis behielt Lea ihren Mitschülern gegenüber erstmal für sich, um keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch von den Lehrern erhielt nun sie keine Unterstützung mehr: Der bis dahin so hilfreiche Online-Unterricht wurde ihr verwehrt und schließlich wurde ihr aufgrund der vielen Fehlzeiten am Ende der 12. Klasse sogar das Zeugnis verweigert.
Derzeit versucht Lea, zuhause mit ihrer Krankheit klarzukommen und ihren Alltag so zu bewältigen, dass sie ihre Symptome in Schach halten kann. Unterstützung erhält sie dabei vor allem von ihrer Mutter: an schlechten Tagen braucht sie bereits Hilfe dabei, sich morgens im Bett aufzurichten, beim Umziehen, beim Haarekämmen und beim Treppenlaufen. Auch die Nahrungsaufnahme bereitet Lea Schwierigkeiten: Aufgrund ihrer Schluckstörungen ist sie oft auf Flüssignahrung angewiesen und muss Getränke mit Andickungsmitteln mischen, um sich beim Trinken nicht zu verschlucken. Kraft schöpft Lea derzeit vor allem im Umgang mit ihren Hasen. An guten Tagen, wenn sie keine Doppelbilder sieht, liest sie zudem gerne und schaut Filme. Auch Backen und Häkeln gehören zu ihren Hobbys. Für die Zukunft wünscht Lea sich, ihr eigenes Leben zu leben und zu studieren oder einen Beruf zu lernen. Sie versucht dabei optimistisch zu bleiben und hofft auf medizinische Fortschritte, die sie bei ihrem Weg in ein eigenständiges Leben unterstützen.
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